Zahnarzt spendet Klinik für Ladakh

NEUHAUSEN/CHOGLAMSAR: Rainer Roos behandelt seit 2000 in seinem Sommerurlaub Patienten in der indischen Himalaya-Region

Esslinger Zeitung 13.02.2016
Von Klaus Harter

Ladakh, die nördlichste Region von Indien hoch oben im Himalaya, ist seit ein paar Jahren ein beliebtes Ziel von Rucksacktouristen, Wanderern und Kletterern. Rainer Roos, Zahnarzt in Neuhausen, hatte diese Gebirgsregion schon länger entdeckt. Im Jahr 2000 reiste er erstmals dorthin und verbringt seither seinen Sommerurlaub dort – um das zu tun, was er das ganze Jahr über macht: kranke Zähne behandeln. Allerdings nicht auf Krankenschein oder private Rechnung, sondern ehrenamtlich. Nun spendet er der armen und dünn besiedelten Region eine kleine, modern ausgestattete Zahnklinik.

In der Fabrikhalle, die Rainer Roos als Lager nutzt, stehen jede Menge Einrichtungsgegenstände. “Es sieht ein bisschen gerümpelhaft aus, aber alles hat seinen Sinn und seine Ordnung”, sagt er schmunzelnd. Zusammen mit seiner Frau Ulrike, seinem tibetischen Kollegen Kunsang Dechen, der ein paar Wochen in Deutschland weilt, und Handwerkern bereitet er den Transport nach Indien vor. Kunsang Dechen wird die Klinik betreiben. Das Grundstück dafür erwarb Roos gegenüber dem Sommersitz des Dalai Lama. Dieser wird die Klinik Ende August einweihen, kündigt Rainer Roos an.

Im Mahabodi-Center, dem von einem buddhistischen Mönch aufgebauten Hilfszentrum in der Nähe der Hauptstadt Leh, richtete der Zahnarzt vor Jahren auf eigene Rechnung eine Praxis ein. Inzwischen sind dort in den Sommermonaten auch andere deutsche Zahnärzte tätig. Die Praxis “funktioniert mehr schlecht als recht”, sagt Rainer Roos. Sie ist maximal ein halbes Jahr besetzt. Das Gebäude hat keine Heizung, im Winter ist es tagsüber nicht wärmer als ein paar Grad über Null. Es ist auch schwierig, die Wasser- und Stromversorgung sowie die Abwasserbeseitigung sicherzustellen. Rainer Roos selbst fährt seit ein paar Jahren mit einer mobilen Behandlungseinheit in entlegene Gebiete, um die Menschen auf einer Höhe zwischen 3500 und 4500 Metern zu behandeln. Sein Ziel ist es aber, eine ganzjährige Versorgung zu gewährleisten. Vor vier bis fünf Jahren beschloss er, eine Klinik zu bauen.

Viel Zeit und Geld investiert

Für sein Engagement in Ladakh erhielt Rainer Roos bereits 2011 den „Mittelstandspreis für soziale Verantwortung in Baden-Württemberg“, den die Caritas, die Diakonie und das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft verleihen. Die Kosten für seine Klinik beziffert er auf 250 000 Euro. Er hat zahlreiche Partner und Sponsoren gefunden, dennoch investiert er sehr viel Geld – und Zeit: „Jeden Tag ist man ein paar Stunden mit dem Projekt beschäftigt.“ In der Sendung „weltweit“, die Sonntagnachmittag im SWR 3 ausgestrahlt wird, gab er vor ein paar Jahren ein Interview. Daraufhin meldeten sich viele Interessenten, die bei dem Projekt mitmachen wollten.

In Ladakh gibt es nur etwa ein Dutzend Zahnärzte, weiß Rainer Roos. Ihre Behandlung beschränkt sich auf einfache Füllungen und Zähne ziehen. Das soll Kunsang Dechen in der neuen Klinik ändern. Er ist Rainer Roos dankbar, dass dieser ihm dreimal ermöglicht hat, zur Fortbildung nach Deutschland zu kommen. Ihre Freundschaft „hat mein Leben verändert.“ Aufgewachsen ist er nach der Flucht in einem SOS-Kinderdorf, dort praktizierte er später jahrelang als Zahnarzt. Seine Tochter wird voraussichtlich in Deutschland Zahnmedizin studieren und anschließend die Klinik übernehmen. Dort erhalten die Patienten sogar Implantate und Prothesen. Dafür werden optische Abdrücke angefertigt, per Mail verschickt und dann werden irgendwo auf der Welt in einem Labor Kronen, Brücken oder andere Prothesen angefertigt.

In der Stadt in Choglamsar hat Rainer Roos den Rohbau in Form eines Betongerüsts bauen lassen. In diese Konstruktion werden Holzmodule gesetzt, die von der Instant-Home-Foundation in Reutlingen, deren Vorsitzender der Architekt Frank Prochiner ist, zusammen mit der Firma Vöhringer in Trochtelfingen entwickelt worden sind. Die Firma sponserte auch diese Holzpaneele. Prochiner und sein international tätiges Architektenteam haben auch die gesamte Klinik geplant. Die Module können mit einem einfachen Stecksystem zusammengefügt werden, die Wände sind gut isoliert. Die Klinik beherbergt zwei Behandlungszimmern, ein Röntgenzimmer (die Ausstattung wurde gespendet), einen zahntechnischen Arbeitsplatz und eine Wohnung für den Zahnarzt und sein Team. Das Gebäude ist so konstruiert, dass bei Bedarf ein weiteres Stockwerk draufgesetzt werden kann. Beheizt wird es mit Kohle. Ein Generator garantiert eine stabile Stromversorgung. Für die Wasserversorgung wurde ein Brunnen gebohrt. Im März wird die Klinik in Container verladen und in die indische Hauptstadt Delhi transportiert und dort auf kleine Lastwagen verladen, die gut über die hohen Gebirgspässe kommen. Ein deutsches Team aus Handwerkern und anderen Fachleuten wird sie ab Ende Juli aufbauen.

Dünn besiedelte Hochgebirgsregion

Der Dalai Lama hat seinen Sommersitz in Ladakh. Die Region im Bundesstaat Jammu Kashmir ist buddistisch geprägt, zahlreiche Tibeter sind über die Grenze dorthin geflüchtet. Die Flüchtlinge machen etwa ein Drittel der Bevölkerung aus. Deshalb sowie wegen der Schönheit der Landschaft und der Kultur wird die nördlichste indische Region auch als Klein-Tibet bezeichnet.

Ladakh ist eine Hochgebirgsregion, deren Täler auf etwa 3000 Metern Höhe liegen, die Berge sind bis zu über 7000 Meter hoch. Mit einer Fläche von 59 146 Quadratkilometern ist Ladahk deutlich größer als Baden-Württemberg (35 752 Quadratkilometer), hat aber nur 290 000 Einwohner. Diese Zahl ergab der Zensus von 2001. Das sind nur fünf Einwohner pro Quadratkilometer. Die Hauptstadt ist Leh.

Das Klima ist sehr trocken, im Sommer regnet es kaum. Daher gleicht ein Großteil von Ladahk einer Wüste. Die Winter sind für eine solche Hochgebirgsregion nicht sehr schneereich, aber kalt. Die Temperaturen sinken bis minus 30 Grad. Im Sommer kann es tagsüber sehr warm werden bis zu 30 Grad.Landwirtschaft wird vor allem auf bewässerten Flächen betrieben. Der größte Fluss in Ladakh ist der Oberlauf des Indus.

Touristen sind in der von viel Militär bewachten Grenzregion zu China erst seit 1974 zugelassen. Ein beliebtes Reiseziel ist Ladakh aber erst vor wenigen Jahren geworden. Die Reisezeit beginnt im Mai/Juni und dauert bis September/Oktober, Hauptsaison ist im Juli und August. Nicht nur die Natur ist eine Reise wert, auch kulturell hat Ladakh einiges zu bieten, besonders die Jahrhundertealten buddhistischen Klöster. Der Tourismus wird zunehmend zu einer wichtigen Einnahmequelle für die Bevölkerung.